SITUATION IN DEUTSCHLAND
AUSGANGSLAGE
Situation in Deutschland
Die heutige Wahrnehmung des Wolfes ist quer über die Bundesländer überaus unterschiedlich. Während die Menschen in den östlichen Ländern in der Vergangenheit immer wieder praktisch mit dem Thema konfrontiert waren, ist der Wolf in den westlichen Ländern nur noch Gegenstand von Märchen gewesen. In dieser Situation finden die Betroffenen einen rechtlichen Rahmen vor, der zu einer Zeit entstanden ist, als die flächendeckende Anwesenheit von Wölfen in Mitteleuropa als annähernd undenkbar galt.
1. Nie weg und wieder da
Anfang der 2000er-Jahre konnte in Deutschland erstmals seit seiner weiträumigen Verdrängung im 19. Jahrhundert wieder eine regelmäßige Reproduktion des Wolfes in freier Wildbahn nachgewiesen werden. Aus Ost- und Nordeuropa zuwandernde Individuen siedelten sich in zunehmendem Maße an und durch Reproduktion der neu gegründeten Rudel sowie durch weitere Zuwanderung breitete sich die Population in einem breiten Band in nordwestlicher Richtung aus, welches heute bis zur Nordsee bei Cuxhaven reicht. Wölfe aus Nord- und Ostdeutschland haben sich inzwischen mit Zuwanderern aus der abruzzoalpinen Population in Süddeutschland verpaart. Nach knapp 20 Jahren Anwesenheit des Wolfes in Deutschland nehmen die Konflikte deutlich zu. Dies ist eine Herausforderung, die bei der Erstellung erster Managementpläne für diese Art in Deutschland so nicht erwartet wurde.
2. Die Probleme nehmen zu
Die Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere haben in den vergangenen zehn Jahren rasant zugenommen. Waren es im Jahr 2007 etwa 30 Fälle, ist die Zahl im Jahr 2016 auf knapp 300 gestiegen. Die meisten Übergriffe fanden 2016 in Brandenburg (91), Niedersachsen (68), Sachsen und Sachsen-Anhalt (jeweils 44) statt. Im Jahr 2007 ha- ben Wölfe etwa 100 Nutztiere verletzt oder getötet, 2016 wurde die Grenze von 1.000 Nutztieren erstmals überschritten (DBBW 2017). In Niedersachsen haben sich die Zahlen innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt: Während es im Jahr 2016 251 Nutztierrisse gab, stieg die Zahl 2017 auf 488 an. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Risse von Kälbern und Rindern von 44 auf 61 gestiegen. Im wenig bewaldeten Kreis Cuxhaven wurden im Jahr 2017 95 Risse gemeldet, 22 davon Rinder. Daraufhin ist die Mindesthöhe für einen wolfssicheren Zaun von 1,20 auf 1,40 Meter erhöht worden. Doch auch diese Zaunhöhen haben Wölfe bereits übersprungen. Kritiker äußern, dass eine stufenweise Erhöhung der Zäune eher einen Trainingseffekt für die physisch robusten und intelligenten Wölfe darstellt.
Im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 hatte sich die Bundesregierung auf folgenden Wortlaut geeinigt: Die Weidetierhaltung ist aus ökologischen, kulturellen und sozialen Gründen sowie zum Erhalt der Artenvielfalt und Kulturlandschaft zu erhalten. Im Umgang mit dem Wolf hat die Sicherheit der Menschen oberste Priorität. Wir werden die EU-Kommission auffordern, den Schutz- status des Wolfs abhängig von seinem Erhaltungszustand zu überprüfen, um die notwendige Bestandsreduktion herbeiführen zu können. Unabhängig davon wird der Bund mit den Ländern einen geeigneten Kriterien- und Maßnahmenkatalog zur Entnahme von Wölfen entwickeln. Dazu erarbeiten wir mit der Wissenschaft geeignete Kriterien für die letale Entnahme. Wir wollen, dass Wölfe, die Weidezäune überwunden haben oder für den Menschen gefährlich werden, entnommen werden.
3. Der „gegenwärtige” gesetzliche und administrative Rahmen
Der Wolf unterliegt in Deutschland dem Naturschutzrecht und ist eine besonders und streng geschützte Tierart. Für diesen Schutzstatus maßgeblich ist die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL). Folgende internationale und nationale Rechtsvorschriften sind beim Wolf zu berücksichtigen:
- Washingtoner Artenschutzabkommen (Anhang II)
- Berner Konvention (Anhang II)
- EG-Verordnung 338/97 (Anhang A)
- FFH-Richtlinie 92/43/EWG (Anhang II, prioritäre Art, und Anhang IV, Art. 12 und 16)
- Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG, besonders geschützte Art nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a), streng geschützte Art nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchst. a), jeweils i.V.m. § 44 und § 45)
Der Wolf ist in der EU durch die FFH-Richtlinie, als Umsetzung der Berner Konvention, als streng geschützt eingestuft (Anhang II und IV) und unterliegt damit den strengen Regelungen insbesondere des Art. 12 Abs. 1. Diese europarechtliche Vorgabe wird im Bundesnaturschutzgesetz insbesondere durch die Verbote nach § 44 Abs. 1–3 BNatSchG (Nachstellen, Fangen, Verletzen oder Töten) umgesetzt. Ausnahmen von diesen Verboten sind nur im Einzelfall unter den Voraussetzungen der §§ 45 Abs. 7 und 67 BNatSchG zulässig. Die Entscheidung liegt bei den dafür zuständigen Behörden. Dem Charakter des Bundesnaturschutzgesetzes als Schutzgesetz entsprechend, sind die den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeiten zur Ausnahme vom strengen Schutz (Art. 16 FFH-Richtlinie) nicht vollständig umgesetzt. Insbesondere fehlt die Möglichkeit der nachhaltigen Entnahme von Exemplaren von Arten, deren Population sich im günstigen Erhaltungszustand befindet (Art. 16 Abs. 1 lit. e) FFH-RL). Bislang hat nur das Bundesland Brandenburg die Verordnungsermächtigung des § 45 Abs. 7 BNatSchG gezogen und eine sogenannte Wolfsverordnung (BbgWolfV) erlassen. In dieser wird bestehendes Recht zusammengefasst und operativ vereinfacht. Ebenso wurde die Zuständigkeit für den Wolf von den Kreisen auf das Land verlagert, was in Brandenburg durchaus kritisch diskutiert wird. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Verordnung wird von den Akteursgruppen insgesamt sehr unterschiedlich gewertet, vor allem auch deshalb, weil es trotz mehrfacher Anträge von Betroffenen auch ein Jahr nach Inkrafttreten bislang noch zu keiner Entnahme von Wölfen gekommen ist. Davon unabhängig arbeiten momentan weitere Bundesländer, insbesondere der Freistaat Sachsen, an einem ähnlichen Verordnungstext. Der Wolf unterliegt ferner dem Vermarktungsverbot der EU-Artenschutzverordnung VO Nr. 338/97, insbesondere Art. 8 Abs. 1, als Umsetzung des Washingtoner Artenschutzabkommens in EU-Recht.